Regenbogen über Bonn

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Interview

Strom und Wärme – klimaneutral! Was es jetzt braucht.

Interview mit Dipl.-Ing. Barbara Fricke
Portrait von Barbara Fricke mit Mikrofon in der Hand

Foto: Christoph Schnüll

Dipl.-Ing. Barbara Fricke

Zu Hause möchten wir es auch im Winter warm haben und wir brauchen Strom. Wie schaffen wir das ohne Öl, Gas und Kohle?

Diplom-Ingenieurin Barbara Fricke erklärt, was rund um unsere Gebäude konkret zu tun ist: Welche komplexen Herausforderungen haben Verwaltung und Stadtwerke zu lösen, um klimaneutrales Wohnen zu ermöglichen? Was können wir als Bürger:innen beitragen?

Liebe Barbara, in deinem Vortrag auf dem 3. Bonn4Future-Klimaforum im Juni 2022 hast du deutlich gemacht: Wenn Bonn bis 2035 klimaneutral werden will, müssen wir alle unsere Gebäude schnellstmöglich dämmen. Warum ist das so zentral?

Erneuerbare Energie, wie zum Beispiel Sonnenstrahlung oder Wind, ist im Überfluss vorhanden. Um sie technisch nutzbar zu machen, brauchen wir Anlagen, die sie in Strom und Wärme um­wandeln. Von diesen Anlagen können wir nicht unendlich viele bauen: Die Menge und Ergiebig­keit der dazu erforderlichen Materialien ist begrenzt und der Bau belastet die Umwelt.

Es ist daher unverzichtbar, von allem weniger zu verbrauchen – und das bedeutet in Bezug auf das Wohnen zum Beispiel, dass wir deutlich weniger Heizenergie verbrauchen als bisher. Ohne diese Einsparung schaffen wir die Wende zu einer 100 % erneuerbaren Energieversorgung nicht. Damit verfehlen wir das dringendsten Ziel, nämlich: unseren Planeten für unsere Kinder und Enkel zu erhalten.

Du warst bis Mitte 2022 Mitglied im Klimaschutzbeirat – das ist ein Gremium, das den Bonner Stadtrat berät. Anfang 2021 habt ihr dem Rat ein Empfehlungs­dokument für den Bereich Gebäude vorgestellt. Es zeigt auf, was auf dem Gebiet getan werden muss, damit Bonn klimaneutral wird. Eine der Empfehlungen: die Sanierungsrate von aktuell ca. 1 % auf 7 % pro Jahr zu steigern. Was bedeutet das und ist das über­haupt schaffbar?

Konkret bedeutet das: Pro Jahr müssen 7 % der Bonner Gebäude vollständig und ambitioniert energetisch saniert werden. (Das hieße, Jahr für Jahr muss jedes 14. Haus saniert werden, Anm. der Red.) Dazu gehören mehrere Maßnahmen: ausgeprägte Dämmung, Austausch der Fenster, Umstieg auf klimaneutrale Heizung usw.

Rein rechnerisch brauchen wir bis 2035 sogar eine Quote von ca. 8 %. Wenn wir berücksichtigen, dass einige Gebäude nicht saniert werden (können), zum Beispiel weil sie unter Denkmalschutz stehen oder weil das Geld fehlt, ist es realistisch, die Quote etwas niedriger anzusetzen. Ich halte eine Sanierungsquote von 5 % bis 7 % für unverzichtbar. Volkswirtschaftlich und technisch ist das überhaupt kein Problem – wir haben als Volkswirtschaft die ökonomischen Ressourcen und die technischen Möglichkeiten.

Schon vor zwei Jahrzehnten haben Berechnungen des Deutschen Zentrums für Luft- u. Raum­­­­fahrt (DLR) in Stuttgart und des Wuppertal Instituts gezeigt, dass wir mittel- und langfristig finanziell deutlich besser dastehen, wenn wir konsequent auf die Energiewende inkl. Gebäude­dämmung setzen, als wenn wir bei der fossilen Versorgung bleiben. (Siehe Studie "Langfrist­sze­narien für eine nachhaltige Energienutzung in Deutschland" am Ende des Artikels.)

Es gibt zwei zentrale Herausforderungen. Die erste Herausforderung betrifft die Finanzierung. Das heißt: ein konsequentes Umlenken von Geld­­­aus­gaben in diese unverzichtbare Zukunftsaufgabe. Das gilt für jede:n Einzelne:n ebenso wie für unsere Stadt, das Land und den Staat. Zentral sind dabei natürlich staatliche Förderung und die Investitionsbereitschaft von Gebäudebesitzer:innen.

Darüber hinaus scheint es mir sinnvoll zu prüfen, welche Lösungen – z. B. über Fonds, Stiftungen oder Genossenschaften – es ermöglichen, das in erheblichem Maß vorhandene private Ver­mö­gen langfristig für die Investitionen in die Gebäudesanierung zur Verfügung zu stellen. Eine passende, gemeinwohlorientierte Gesellschaftsform sollte das Geld einsammeln und für eine professionell organisierte, qualitativ hochwertige Sanierungs-Investition Sorge tragen. Die Geld­anlage könnte mittlere bis lange Laufzeiten haben bei mäßiger Rendite.

Das Gesellschafts- und Finanzierungsmodell des Mietshäuser-Syndikats eignet sich mög­licher­weise als Blaupause für diese Art von gemeinwohlorientierter, nicht kommerzieller Ermög­lich­ung von Sanierungsinvestitionen.

Die zweite Herausforderung betrifft die Umsetzung. Aufgrund des viel zu langen Zögerns stehen wir nun vor der Aufgabe, sehr viele Sanierungsvorhaben in einem sehr knappen Zeitraum zu reali­sie­ren. Die Sanierungsrate muss sich gegenüber heute verdrei- bis vervierfachen. In diesem Jahrzehnt müssen in jeder Straße fortlaufend Gebäude energetisch saniert werden, über Jahre hinweg werden überall diese Baustellen zu sehen sein. Keine Wand darf mehr gestrichen, kein Dach mehr verändert, kein neues Fenster mehr eingebaut werden, ohne gleichzeitig das Gebäude energetisch zu sanieren.

Für diese hohe Zahl an Baustellen fehlt es an Fachleuten in der Planung wie im Handwerk, da die Nachfrage zum einen lange Zeit fehlte, aber auch, weil die Löhne (als Maß für die Zahlungs­bereit­schaft der Kund:innen) im Handwerk zu gering sind, verglichen mit den akademischen Berufen. Das Handwerk ist in diesem Punkt weniger attraktiv, was zum Mangel an Nach­wuchs­kräften beiträgt.

Da die Neubauten zur Klimakatastrophe beitragen, muss die Neubauförderung gestoppt werden. Neubauten sollten so weit wie rechtlich machbar verhindert werden. Der Wohn­flächen­bedarf ist durch Umverteilung von Wohnraum (Umbau, Tausch, Teilen ... ) zu decken. Weniger Wohnfläche pro Kopf ist zwingender Teil der Lösung.

Eine mögliche Lösung: Fachkräfte für Sanierung einsetzen statt für Neubauten. Durch den Stopp des Wohnungsneubaus werden Kapazitäten in Handwerk und Planung frei für die dringend benötigten Sanierungsvorhaben. Zusätzlich brauchen wir viele weitere Menschen, die sich für die benötigten Berufsgruppen im Bau durch Aus- oder Weiterbildung qualifizieren, um die Lücke so schnell wie möglich zu schließen.

Eine weitere Empfehlung des Klimaschutzbeirats an den Stadtrat: Es soll zügig eine Energieleitplanung erstellt werden. Was ist das überhaupt und warum brauchen wir das?

Bislang lief die Energieversorgung für die verschiedenen Bedarfe unabhängig voneinander parallel:

  • Sprit: An der Tankstelle wurde getankt – der Sprit wurde durch Öl-Pipelines/Öl-Tanker u. durch Diesel-/Benzin-Tanklastwagen bereitgestellt.
  • Öl: Der Öltank am Haus wurde beliefert – das Heizöl wurde durch Öl-Pipelines/Öl-Tanker und Heizöl-Tanklastwagen bereitgestellt.
  • Gas: Die Gasheizung wurde durch das Gasnetz beliefert – das notwendige Gas kam über Gas-Pipelines und Gasverteilnetze ins Haus.
  • Strom: Der Strombedarf wurde durch das Stromnetz gedeckt – der notwendige Strom wurde irgendwo in der Bundesrepublik über fossile Kraftwerke bereitgestellt, deren Strom­erzeu­gungs­­mengen sich zu jedem Zeitpunkt dem Strombedarf anpassen ließen.
  • Die Industrie und das Gewerbe brauchten Strom, Gas und Ölerzeugnisse für ihre Produktion – diese kamen über unterschiedliche Infrastrukturen von überall auf der Welt jederzeit passend in die Werksgebäude.

In Zukunft werden alle diese Bedarfe viel enger zusammenhängen. Unsere motorisierten Fahrzeuge werden vorrangig mit Strom betrieben (E-Busse/E-Fahrräder/E-Lastfahrzeuge), unsere Heizungen brauchen neben Sonnenwärme vom Dach, Erdwärme aus dem Boden oder Wasserwärme (aus dem Fluss oder Abwasser) immer auch Strom. Die Bereitstellung von Energie für Industrie und Gewerbe wird ebenfalls sehr viel stärker auf Strom ausgerichtet sein.

Es gilt, Stromerzeugung und Verbrauch geschickt zu kombinieren. Für die Planung der Strom­netze, der Wärmenetze (Heizwärme-Versorgung) und der Strom-Tankinfrastruktur müssen wir wissen und durchrechnen, was wann in welchem Maß und wo innerhalb der Stadt erzeugt werden kann (z. B. durch Sonnenstrom oder Sonnenwärme auf den Dächern) und was wann in welcher Höhe innerhalb der Stadt wo verbraucht wird. Das ist der Kern der Energieleitplanung.

Aus den verschiedenen Szenarien einer solchen Energieleitplanung leitet sich dann der erforderliche Aus- und Umbau der Energie-Infrastruktur ab:

  • Wo werden Wärmenetze gebaut, wo nicht?
  • Wo können wir große Wärmespeicher für die Wärmenetze bauen und wie stark entlasten diese langfristig das Stromnetz (Überschussstrom in Wärmenetze einspeichern)?
  • Wie dick muss wo welche Stromleitung werden?
  • Wo brauchen wir welche Batteriespeicher?

Das sind die Fragen, die durch eine Gesamt-Energieleitplanung beantwortet werden müssen, um zielsicher die teure und aufwändige Anpassung der Energieversorgungs-Infrastruktur vorzunehmen. Basis ist die sogenannte Wärmeleitplanung, die Wärmeversorgung ist hier die größte Herausforderung.

Wie geht es weiter, was passiert jetzt mit den Empfehlungen?

Die Empfehlungen sind bei der Stadt und bei den Stadtwerken angekommen, gerade auch in den Führungsebenen. Das heißt, es ist einiges angestoßen bzw. umgesetzt worden:

  • Abkehr von der Ausrichtung auf grünes Gas als Wärmelösung
  • Wärmeleitplanung
  • Beratung durch das Wuppertal Institut
  • Gründung und Besetzung des Projektbüros klimaneutrales Bonn
  • Anerkennung der Notwendigkeit, alle Dachpotenziale mit PV zu nutzen
  • Einstellung eines Solar-Spezialisten bei der SWB
  • Pilotprojekte für Mieterstrom-Modell
  • Offenheit für die Entwicklungen von Quartierslösungen usw.

Das ist natürlich angesichts des immensen Zeit- und Erfolgsdrucks langsamer und weniger, als notwendig wäre. ‎Aber es spiegelt die für die städtische Wende in Bezug auf die in der Ener­gie­ver­sorgung notwendigen Veränderungen und Ausrichtungen thematisch sehr deutlich.

Gerungen wird nun mit den Fragen, die sich sehr deutlich stellen, wenn wir uns die oben beschrie­benen Herausforderungen anschauen: Wie können die Kosten getragen werden? Was tun mit den Flaschenhälsen Fachpersonal und Material? PV-Anlagen und Wärmepumpen sind aktuell am Markt schlecht zu bekommen.

Was können Bürger:innen tun?

Bürger:innen können hier sehr stark zur Lösungsentwicklung beitragen. Wichtig ist es, in der Nachbarschaft einen guten Kontakt zu initiieren und zu halten, über alle Rollen hinweg (Mieter:innen, Hausbesitzer:innen, Vermieter:innen, Gewerbetreibende, Hausmeister:innen und Nutzer:innen öffentlicher Gebäude) und gemeinsam den Teil der Lösungsansätze zu ent­wi­ckeln, der durch Eigeninitiative möglich ist.

Das kann zum Beispiel die gemeinschaftliche Sanierungsinitiative eines ganzen Häuserzugs in einer Straße sein oder das Ins-Leben-rufen eines Austauschsangebots zu Möglichkeiten von Wohnungstausch oder Wohnungsteilen. Gespräche darüber beginnen, wer warum wie viel Platz wo braucht, welchen Veränderungsbedarf Menschen haben und allmählich gemeinsam eine Idee davon ent­wi­ckeln, was sich gut für alle Beteiligten anfühlen könnte und damit möglich wird.

Das ist nicht immer einfach, aber im Gespräch und dem damit verbundenen Kontakt kann eine Veränderungsbereitschaft wachsen, die zuvor undenkbar gewesen wäre. Wir erleben das immer wieder auch in unserem Wohnprojekt bei Amaryllis. Und das macht Mut und Hoffnung darauf, dass auch heute schwer Vorstellbares viel leichter sein kann, als zunächst befürchtet. :)

Interview: Sonja Corsten

 

Links

 

Globale Nachhaltigkeitsziele – Sustainable Development Goals (SDG)

Die energetische Sanierung von Gebäuden leistet einen wertvollen Beitrag zu mindestens drei SDGs:

SDG 7 Bezahlbare und saubere Energie: Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern

SDG 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur: Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen

SDG 13 Maßnahmen zum Klimaschutz: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen

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