Konrad Egenolf

Foto: Christoph Schnüll

Interview

Wir müssen die Menschen wieder für Landwirtschaft begeistern

Wege zu einer klimafreundlichen Agrikultur - in und um Bonn

Boden-Experte Dr. Konrad Egenolf beschreibt die Landwirtschaft der Zukunft: Wir brauchen mehr Menschen, mehr Humus und weniger Tiere auf dem Land und keine Sojaimporte mehr.

Lieber Konrad, womit beschäftigst du dich und was treibt dich an?

Ich bin Agrarwissenschaftler mit den Fachgebieten Pflanzenernährung, Bodenkunde und Bodenbiologie und arbeite an der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Besonders interessieren mich pflanzenbauliche und bodenmikrobielle Ansätze zur Verbesserung der Nährstoffnutzung/Pflanzengesundheit und Praktiken der Bodenrevitalisierung und Humuswirtschaft. Mein Ansporn ist es, die Wechselwirkungen zwischen Pflanze und Boden besser zu verstehen und so zur Entwicklung von effizienten und umweltschonenden Anbausystemen beizutragen.

Wenn wir im Jahr 2035 unsere Lebensmittel aus einer klimaneutralen Landwirtschaft beziehen möchten: Was müssten wir bis dahin geschafft haben?

Ich möchte die Frage nicht nur in Bezug auf Bonn beantworten, sondern allgemeiner. Was den Klimaschutz betrifft, ist es ein untragbarer Zustand, dass wir den Eiweißbedarf unserer Nutztiere zu einem erheblichen Teil über Soja-Importe aus den USA sowie aus Brasilien und Argentinien decken. Das ist der Haupttreiber der Entwaldung des Amazonas; die Rinderhaltung auch, aber der ökonomische Treiber ist der Soja-Anbau.

Die Soja-Importe sind in mehrfacher Hinsicht klimarelevant:

  • Einmal, weil sie zur Entwaldung beitragen.
  • Und darüber hinaus, weil sie unser industrielles Tierproduktionssystem ermöglichen. Das wiederum führt dazu, dass wir billiges Fleisch haben und zu viel davon essen.
  • Gleichzeitig gibt es in Regionen mit intensiver Tierhaltung Nährstoffüberschüsse durch Gülle und Mist. Die sickern dann in Gewässer und Grundwasserkörper. Sie führen aber auf den Feldern zur Entstehung  klimarelevanter Treibhausgase, insbesondere Lachgas

Wenn wir den Soja-Import stoppen würden, dann müssten wir heimische Leguminosen (Hülsenfrüchtler) nutzen. Das würde Fleisch verteuern und dazu führen, dass die Nachfrage sinkt. Ganz nebenbei würden die regionalen Nährstoffüberschüsse, die mit den Futtermittelimporten einhergehen, zurückgehen. Und wenn wir den heimischen Leguminosenanbau verstärken, würde unser Bedarf an Stickstoff für das Düngen zu einem größeren Teil durch biologische Stickstoff-Fixierung gedeckt statt durch künstlichen Stickstoffdünger. Auch das wäre gut, denn die Herstellung von synthetischem Stickstoffdünger ist energieaufwändig.

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Sojafeld in Bayern
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Foto: Gesa Maschkowski

Auch in Deutschland kann Soja angebaut werden; das Foto zeigt ein Feld in Bayern.

Meine erste Empfehlung wäre also: Soja-Exporte beenden, das löst ganz viele Probleme. Es wäre sinnvoll, wenn wir das auf europäische Ebene entscheiden. Was könnte der Beitrag der Bonner:innen sein? Wir alle haben Einfluss auf unsere Ernährungsgewohnheiten: Wir können Bio-Lebensmittel essen, weniger Fleisch essen.

Meine zweite Empfehlung: Wir sollten die Senkenfunktion der Landwirtschaft nicht überschätzen. Humusaufbau ist sinnvoll, aber das Potenzial ist begrenzt. Er ist kein Ersatz für die notwendige Reduktion unserer Emissionen.

Die landwirtschaftliche Fläche in Bonn ist sehr gering (141 km2, davon ~ 50 % bebaut). Somit haben wir auch wenig Möglichkeiten, Acker als CO2-Speicher zu nutzen. Wir können natürlich die Senkenfunktion der Landwirtschaft ein Stück weit ausbauen. Der Humusaufbau als Beitrag zum Speichern von CO2 wird aber überschätzt. Die Wissenschaftler:innen streiten sich immer noch über die Grundlagen, wir sind bisher nicht zu einem konsolidierten Wissen gekommen. Dementsprechend ist es schwierig, klare Empfehlungen zu geben und schwer abschätzbar, wie sich die Humusgehalte in Zukunft entwickeln werden.

Was ist eine CO2-Senke?

Als CO2-Senke (oder auch Kohlenstoff-Senke) werden ökologische Systeme bezeichnet, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen und speichern und dadurch der Erderwärmung entgegenwirken können. Wälder, Moore und Grasland sind natürliche CO2-Senken.

Die Art, wie landwirtschaftlich genutzte Flächen bearbeitet werden, hat einen Einfluss darauf, wie viel Kohlenstoff sie binden können. Die Kapazität dafür steigt, je mehr Biomasse hinzukommt: Überreste von Pflanzen und Tieren, Exkremente usw. werden schließlich zu Humus.

Im Rahmen von Modellprojekten wird derzeit untersucht, wie landwirtschaftliche Böden durch verstärkten Humusaufbau Kohlenstoff speichern können. Dazu gehört auch das Pflanzen von Gehölzen und Hecken, z. B. im Rahmen eines Agroforstsystems.

Durch die Klimaerwärmung wird es schwieriger, die Humusgehalte konstant zu halten, vom Humusaufbau ganz zu schweigen. Und selbst, wenn wir keine Klimaerwärmung hätten, wäre das Potenzial begrenzt. Die Zuwächse, die aus dem Modellprojekt der Ökoregion Kaindorf (Österreich) berichtet werden, sind nicht seriös. Für realistisch halte ich 500 Kilo Kohlenstoff pro Hektar und Jahr, das sind 2 Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr, aber dann ist Ende. Wenn man das auf alle Ackerflächen Deutschlands hochrechnet, dann könnten wir über 20 Jahre 5 % unserer Emissionen kompensieren, aber danach können wir über diesen Bereich keinen weiteren Kohlenstoff binden. Und das gilt auch nur, wenn alle möglichen Maßnahmen kombiniert werden: Wir müssten alle Moore konsequent wiedervernässen, auf allen Ackerflächen verstärkt Leguminosen, Untersaat/Zwischenfrüchte anbauen, Mulchwirtschaft betreiben (der Wurzelbereich wird mit organischem Material wie Grünschnitt abgedeckt), die Bodenbearbeitung reduzieren etc.

Bei Agroforst und Hecken gibt es keine verlässlichen Zahlen, aber wenn wir das grob überschlagen: In den Wäldern haben wir Zuwächse von 10 Tonnen Kohlenstoff pro Jahr und Hektar. Wenn wir beim Agroforstsystem auf 5–10 % der Fläche Gehölze anpflanzen, dann wären wir bei einer halben bist einer Tonne Kohlenstoff, also noch einmal 2 Tonnen CO2 pro Hektar.

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Agroforst
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Foto: Gesa Maschkowski

Agroforst: Bereiche für die kultivierten Pflanzen (hier: Weinreben) und Reihen mit Bäumen und/oder Sträuchern wechseln sich ab. Die Bewirtschaftung ist aufwändiger, aber Artenvielfalt und Klima profitieren.

Für alle Landwirte und Landwirtinnen ist es wichtig, die Bodenhumusgehalte zu erhalten oder sie zu steigern, wenn sie auf niedrigem Niveau sind. Allerdings unterliegt Humus auch einem ständigen Abbau. Das muss auch so sein, weil sonst die Nährstoffe im Boden festgelegt würden. Die Ernährung des Bodenlebens ist eine maßgebliche Funktion des Humus; das Bodenleben muss Humus verstoffwechseln, damit unsere Pflanzen mit allen essenziellen Nährstoffen versorgt werden.

Wenn wir uns einmal vorstellen, dass wir uns bereits im Jahr 2035 befinden und zurückschauen: Was wäre passiert, wenn wir klug gehandelt hätten?

Meine Vision ist: Die Landwirtschaft, insbesondere die Tierhaltung, hätte sich verändert. Unseren Proteinbedarf würden wir größtenteils pflanzlich decken. Wir würden weniger Tiere und vor allem  Wiederkäuer halten, die unsere Landschaft pflegen und dem Naturschutz dienen.

Das wäre eine Landwirtschaft, in der die Tierhaltung, vor allem die Haltung von Hühner und Schweinen extrem zurückgefahren wäre. Wir würden unseren Proteinbedarf pflanzlich decken. Sicherlich würden wir in gewissen Bereichen Agroforst anlegen. Die einzige Tierhaltung wäre in der Tat die Freilandhaltung von Wiederkäuern.

Denn wir können nicht nur die Klimaproblematik für sich allein betrachten: Gerade Offenlandschaften mit Weiden sind Biotope, die es zu schützen gilt. Standorte, die keine Hocherträge liefern, könnten daher als Grünland genutzt werden, das ist eine bedeutsame Kohlenstoffsenke. Wir hätten dann extensive Tierhaltung auf großen Flächen mit geringem Viehbestand. Bewachsene Randstreifen und Hecken sorgen dafür dass sich alle Arten heimisch fühlen. Das bedeutet für uns: zurück zum Sonntagsbraten und ab und zu ein Rindsteak – das kann man verkraften.

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Mastrinder ruhen auf einer Weide im Oderbruch
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Foto: Gesa Maschkowski

Klimafreundliche Weidehaltung: Die Zahl der Tiere pro Hektar ist begrenzt, gefressen wird nur was vor Ort wächst (Mastrinder auf einer Weide im Oderbruch)

Was sind die wichtigsten Ansatzpunkte für die Veränderung?

1. Wir brauchen wieder Verbindung zwischen Bürger:innen und Landwirtschaft, mehr Menschen, die Landwirtschaft betreiben wollen und auch mehr Land für diese Menschen.

Der wichtigste Aspekt ist, dass wir wieder mehr Menschen für die Landwirtschaft begeistern. Dieses Problem, dass Landwirt:innen immer mehr Fläche bewirtschaften müssen mit immer mehr Maschinen, das führt ja dazu, dass komplexe Anbausysteme gar nicht mehr möglich sind.

Wenn man sich einen Waldgarten ansieht, ein Agroforst-System, eine solidarische Landwirtschaft, das braucht viele Menschen. Der Arbeitszeitbedarf ist viel höher als in der industrialisierten Landwirtschaft.

Die Menschen müssen wieder an die Landwirtschaft herangeführt werden, zum Beispiel durch ein Pflichtjahr nach der Schule: ein Jahr lang mitarbeiten, bei der Ernte mitmachen. Herbstferien waren früher Ernteferien. Viele Menschen sind sehr entwurzelt und sehr entfremdet in dieser Hinsicht und der Bezug zur Landwirtschaft ist nicht mehr da. Das ist ein großes Problem. Für die Landwirt:innen ist es auch ein Problem, dass sie keine Arbeitskräfte finden und dadurch gezwungen sind, den Betrieb mit wenig Arbeitskräften aufrechtzuerhalten.

2. Wir sollten die Macht und Bedeutung des Lebensmittelhandels in den Blick nehmen.

Die Marktzwänge, die auf den Landwirt:innen lasten, sind enorm – insbesondere dadurch, dass wenige Discounter den Markt dominieren und die Preise diktieren. Das ist eine Katastrophe. Für die Direktvermarktung über Hofläden und Ähnliches brauchen Erzeuger:innen ein extrem hohes Engagement. Manche schaffen das, aber viele sagen, sie sind keine Händler, sie wollen produzieren. Und dann kommen sie in die Schieflage, weil sie wieder vom Markt abhängig sind.

3. Wir sollten motivierten Menschen Zugang zu Land ermöglichen.

Die aktuelle Konstellation des Landbesitzes ist ein Problem. Da müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass junge Menschen wieder Zugang zu Land bekommen, z. B. durch die Biobodengenossenschaft, die Land aufkauft, damit auch Menschen ohne Grundkapital Landwirtschaft betreiben können.

Viele Menschen, die motiviert sind, haben keinen Zugang zu Land. Und dann gibt es andere, die Geld haben und Land als Spekulationsobjekt entdeckt haben, das eine Rendite abwerfen soll. Das wiederum fördert die industrialisierte Landwirtschaft.

Interview: Dr. Gesa Maschkowski, Bonn im Wandel e.V., Redaktion: Sonja Corsten

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Erwachsene und Kinder auf einem Selbsterntefeld bei Köln
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Foto: Gesa Maschkowski

Hautnah erfahren, was alles zu tun ist, bis das Gemüse auf den Teller kommt: Erwachsene und Kinder auf einem Selbsterntefeld bei Köln

Gut zu wissen: Was läuft in Bonn?

Dr. Konrad Egenolf war einer unserer Expert:innen auf dem 4. Bonn4Future Klimaforum im September 2022. Nach den Vorträgen und Interviews haben zufällig geloste Bürger:innen vier Aktionspläne für ein klimafreundliches Ernährungssystem erarbeitet. Ein Aktionsplan beschreibt, wie die Stadt Bonn die klimaneutrale Landwirtschaft in und um Bonn fördern kann. Die Ergebnis-Präsentation der Bürger:innen findet Ihr hier.

Die Einsatz der Bürger:innen hat sich gelohnt. Denn am 23.3.2023 beschloss der Bonner Stadtrat diese Empfehlungen der Bürger:innen aufzugegreifen. Der neue Bonner Klimaplan wurde ergänzt um ein  "Förder- und Umstellungsprogramm der städtischen (verpachteten) landwirtschaftlichen und gärtnerischen Flächen auf biologische Bewirtschaftung sowie die Förderung von Solidarischer Landwirtschaft". Dafür sollen in den nächsten 2 Jahren 200.000 Euro bereit gestellt werden sowie eine halbe Stelle. Mehr Infos findet ihr im Artikel "Geschafft: Stadtrat beschließt Umsetzungscheck von Bonn4fFuture

Das Mitwirkungsverfahren Bonn4Future - Wir fürs Klima war das bisher umfangreichste Verfahren in Bonn. Es wurde von Bonn im Wandel e.V. mit einem großen Unterstützerkreis als Bürgerantrag angestoßen. Der Verein hat das Konzept entwickelt und umgesetzt. Die Stadt Bonn hat dieses Verfahren in besonderer Weise gefördert und war Kooperationspartner.

Linktipps

  • Du willst Produkte aus humusfördernder Landwirtschaft essen? Ganz in der Nähe von Bonn gibt es zwei Solidarische Landwirtschaftsbetriebe, die Gemüse anbauen und dafür sorgen, dass der Boden sich regenerieren kann. Die SoLaWi Alfter testet das Agroforst-Prinzip, die SoLaWi Bonn arbeitet mit Mulch, Leguminosen und natürlich Kompost für den Humusaufbau.
  • Viel Wissenswertes zum Thema Boden und Humus findest du auf den Seiten des von Thünen Instituts.
  • Du willst Kompost selbst herstellen? Im Artikel "Gemeinsam genüsslich kompostieren" von Bonn im Wandel findest gute Methoden für den Küchenkompost
  • Du willst lernen, wie du humusfördernd gärtnern kannst? Die Humuswerkstatt im Bergischen bietet Workshops an.
  • Die Empfehlungen des Klimaschutzbeirates für eine klimafreundliches Bonner Ernährungssystem findest du hier

Globale Nachhaltigkeitsziele – Sustainable Development Goals (SDG)

Eine klimabewusste Landwirtschaft leistet einen wertvollen Beitrag zu folgenden SDGs:

  • SDG 2 Den Hunger beenden: Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern
  • SDG 12 nachhaltiger Produktion und Konsum: Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen
  • SDG 15 Leben an Land: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation  beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen.
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